24.11.2025

Unter Verdacht - Der Fall "Denkfest 2025"

Christian Schüle
DLF Kultur
Zeitfragen/Kommentar
03.11.2025

Link zum Anhören: Meinungsfreiheit - Welche Lehren Kurator Christian Schüle aus dem Denkfest zieht

Unter Verdacht
Der Fall ‚Denkfest 2025‘

Es begann eine Woche vor der Veranstaltung. Erste Hinweise auf konkrete Aktionen gegen das Denkfest tauchten auf. Dreißig Karten wurden auf Fake-Namen reserviert; in ihren Netzwerken kündigten die regionale Antifa und Studenten der örtlichen Universität gemeinsame Proteste vor Ort an. In einer Rund-Mail an alle entsprechenden Institutionen distanzierte sich der Sprecher:innen-Rat des Netzwerks der Festivalregion demonstrativ vom Denkfest. Susanne Dagens Ansichten, hieß es, seien mit einem „inklusiven und demokratischen Austausch“ nicht vereinbar. Die ersten bereits eingeplanten Referenten sagten ab; weil diese absagten, zogen sich andere zurück. Plötzlich in eine Erregungsspirale geratend, lief das Denkfest Gefahr, gar nicht erst stattfinden zu können. Die Sicherheit der teils prominenten Referenten schien nicht gesichert. Und womöglich hätte es mittelfristig negative berufliche Konsequenzen für manche aus dem Orgateam haben können, wären sie nachweislich mit Frau Dagen in einem Raum gewesen. Der Druck wuchs, die Dynamik stieg. Fünf Tage vor der Veranstaltung entschieden wir einmütig, Susanne Dagen abzusagen. Leicht fiel es keinem von uns, denn offensichtlich verstießen wir gegen die von uns selbst formulierte Unterzeile: ‚Wer hat Angst vor Ambivalenz?‘ Auch wir schränkten nun also jene Meinungsfreiheit ein, die wir mit größter Überzeugung hätten stärken wollen. (Hatten wir Angst? Ja und nein. Kuschten wir? Ja und nein. Letztlich räumten wir der Reibungslosigkeit des Denkfests höhere Priorität ein als dem Gespräch mit einer „rechten“ Buchhändlerin über die „verlorene Freiheit“.) Ein Hauch von Absurdität lag über dem Geschehen.

Wir luden ja deshalb eine bekennende „Rechte“ auf das Denkfest über Freiheit und Ambivalenz, weil wir andere Positionen erst hören und in die Tiefe gehend ganz verstehen wollten, ehe wir über sie urteilen. Weil wir Einspruch gegen den hegemonial gewordenen „hermeneutischen Zirkel“ erheben wollten, demzufolge von vornherein bereits feststeht, was am Ende herauskommen soll. Verständigung setzt Verstehen voraus, Verstehen Kennen und Kennen Zuhören. Und Zuhören heißt keineswegs, sich mit den gehörten Positionen gemein zu machen. We agree to disagree – das war unser Leitmotiv.

Was lehrt dieser missglückte Versuch, auf offener Bühne Widerspruch gegen die zunehmende Sprechverweigerung zu leisten? Hätten wir Frau Dagen nicht ausgeladen, hätte es, so legen Erfahrungen aus der jüngeren Vergangenheit nahe, Störaktionen, Zugangsblockaden, Trillerpfeifenkonzert oder permanent skandierte Parolen gegeben. Wäre Frau Dagen gekommen, hätte sich alles um ihre Person gedreht. In einem Raum mit ihr hätte man sich den Kontaktschuldverdacht mit einer Bürgerin zugezogen, der man wiederum Kontaktschuld zum Rechtsextremismus unterstellt, weil sie Götz Kubitschek und seiner Frau verbunden ist. (In einer von zunehmender Angst vor Ächtung und Isolation besetzten Lebenswelt hätte die Sippenhaft mit Frau Dagen möglicherweise zur Gewissheit geführt, selbst als untragbar gelabelt zu werden.)

Der Fall ‚Dagen und Denkfest‘ ist eine Chiffre für den Geist der Freiheit in der freiheitlichen Republik. Dass „die Rechten“, wie Kritiker monieren, gar nicht mehr reden wollten, wäre durch Susanne Dagen eindeutig widerlegt worden: Sie hatte sofort zugesagt. Sie wollte kommen. Sie will den Diskurs. Knapp einen Monat später ringe ich noch immer mit unserer Entscheidung. Einmal denke ich, es war richtig, sie einzuladen und falsch, sie auszuladen. Dann wiederum finde ich die Ausladung richtig, weil das Denkfest mehr sein sollte als nur Plattform für EINE Teilnehmerin, deren Meinungsfreiheit ja offensichtlich wirklich eingeschränkt, wenn nicht bedroht ist, wie die Causa Denkfest performativ unter Beweis stellt. Wer in einer Demokratie diejenigen ausgrenzt, denen er Ausgrenzung vorwirft, ist doppelmoralisch und treibt den Wert der Ausgegrenzten künstlich nach oben.

Letztlich war die Veranstaltung nach Einschätzung fast aller sehr gelungen, aber: Sie war eben konformistisch. Wir waren uns viel zu einig, wo wir hätten Verstörung produzieren sollen. Gerade jetzt muss es mit gezieltem Irritationsmanagement weitergehen – mit Denk-Arenen, offenen Bühnen und der Anstiftung zum produktiven Streit in der Sache. Und für den muss man die Sache ja erst einmal kennen.
Ein nächstes Denkfest müsste im Vorfeld klarer kommunzieren, die Einwände der Gegenseite vorwegnehmen und die Protestler öffentlichkeitswirksam zum offenen Gespräch auf die Bühne laden: die Antifa, vom Verfassungsschutz übrigens selbst als „extremistisch“ eingestuft, die Empörten in der Linkspartei, die Mailschreiber des Netzwerks. Beim nächstes Mal müsste man rechtzeitig vorher das Gespräch mit der Polizei über ein Sicherheitskonzept organisieren, und lange vorher müsste man die Einladung einer „Kontaktschuld“-Person aus dem „falschen“ Lager in Interviews problematisieren und diskutieren, aber definitiv an der Einladung festhalten.

Von Denunziationsportalen, flächendeckenden „Meldestellen“, staatlichen Hausdurchsuchungen und moralischer Zensur ganz abgesehen, handelt es sich beim Diskurs in Deutschland mittlerweile um ein zunehmend geschlossenes System der Diskursverhinderung. Statt Beweis zählt Verdacht. Statt Nachweis Vermutung. Statt Kausalität der Affekt. Es wird nur noch im Entweder-Oder- statt im Sowohl-als-auch-Modus gedacht. In Zeiten der Unterstellung, Stigmatisierung, Kontaktschuld und Sippenhaft sollten mehr Demokratie wagen, vor allem aber dringend mehr Voltaire, der um 1754 das Goldene Gebot der Aufklärung für alle Zeiten formuliert haben soll:
„Ich bin zwar anderer Meinung als Sie, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass Sie Ihre Meinung frei aussprechen dürfen.“

Bild: Irène Zandel